Political Bestiary
September 2014
Klein. Ohnmächtig. Unruhig. Im Angesicht dieser enormen Portraits, fühlt man sich sofort übermannt von ihrer physischen Größe nur, um gleich darauf von der Gewalt des Inhalts niedergerungen zu werden. Doch, was hier auf uns einwirkt, ist irgendwie nicht ganz fremd. Da ist etwas Vertrautes, zumindest Bekanntes. Wenn wir noch ein paar Schritte zurückgehen, vielleicht fällt es uns dann wieder ein und wir erinnern uns… :
…
George Orwell rechnet 1945 in der satirischen Fabel Animal Farm mit dem stalinistischen Regime ab. Er tut dies in einer Weise, die eben jene Vorgänge derart verschlüsselt und entfremdet thematisiert, dass alle Prozesse und Entwicklungen plastisch und lebendig erscheinen und die Geschichte dadurch eine neue, mehr oder weniger kluge (Tier-) Visage bekommt. Vor allem aber steckt er Politiker in Schweineschwarten und Taubenfedern, gibt den Arbeitern ein Pferdegesicht und lässt Intellektuelle sporadisch aber doch, durch Eselmäuler zu Wort kommen. Er beendet seine dystopische Erzählung mit einem starken, sich entfaltenden Bild; einer Metamorphose, die sich von den Seiten des Buches löst und in der Realität manifestiert: die Egalisierung von Mensch und Tier.
Twelve voices were shouting in anger, and they were all alike. No question, now, what had happened to the faces of the pigs. The creatures outside looked from pig to man and from man to pig, and from pig to man again: but already it was impossible to say which was which.
George Orwell, 2000: Animal Farm. London, Penguin Classics, S. 95.
Eben dieses Sinnbild leistet einen entscheidenden Beitrag zur Rezeption Mladins. Tier und Mensch werden ununterscheidbar.
Ab einem gewissen Zeitpunkt in der Geschichte (Historie), wird aus der belehrenden Fabel eine belächelnde Karikatur. Die Redewendung „Politiker sind Schweine“ gewinnt spätestens dann Bedeutung für die politische Satire und erreicht mit Orwells Text ihren Höhepunkt. Denn aus den Politikern, die vorher keine Schweine waren, sondern sich nur (!) so verhalten haben, werden jetzt tatsächlich welche und noch viel schlimmer: sie sind zuletzt von den Menschen kaum noch zu unterscheiden.
Nach wie vor ist die Popularität dieses Sinnbildes ungebrochen; bemüht man gängige Suchmaschinen, das Internet nach diesem Idiom zu durchkämmen, so erhält man in rumänischer Sprache in 0.38 Sekunden 3.030.000 Ergebnisse, die auf diverse Artikel, Forenbeiträge, kritische Blogs oder eher nichtsehenswürdige Videos verweisen. (Stand: 18.05.2015)
Kaum anders verhält es sich mit der Masse der Menschen, die eine lange Tradition der (immer gleichen) Metaphorisierung kennt. Schon seit den biblischen Zeitaltern wird der unschuldige Mensch als Schaf versinnbildlicht. Daraus ergibt sich dann, das bekannte Spektrum der Gleichungen, die Gott als Hirten und das Böse als eine, die Schafe bedrohende Gefahr darstellt und dabei gerne auch in Gestalt des Wolfes daherkommt. So lernt das Christentum auch durch die Aufzeichnungen des Evangelisten Matthäus :
Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe.
Mt, 7:15
Der wohl bekannte Wolf, der uns auch aus Aesopischen Fabeln schelmisch entgegenlacht, wird in diesem Falle als Gleichnis für eine höhere, machtstrebende Instanz in den Schafspelz gesteckt. Er tarnt sich als einer von „ihnen“ um Vertrautheit zu suggerieren und eignet sich deshalb hervorragend als Grundlage kritischer Persiphlagen oder eben für überlebensgroße Portraits.

Tierfabeln, wie wir sie aus der Literaturgeschichte kennen, bieten uns eine Fülle an adjektiv-substantivischen Bausätzen, die wir von Kindesalter an verinnerlichen: der schlaue Fuchs, der gemütliche Bär, die hinterlistige Hyäne, das unschuldige Lamm. Tierfabeln verstehen sich seit Menschen Gedenken als simplifizierende Transportmittel komplexer Inhalte. Auch moderne Medien wie der Zeichentrickfilm leisten einen wesentlichen Beitrag zur Anerziehung, Erweiterung, oder Neukodierung dieses Kanons. Der König der Löwen bildet dabei nur die Spitze des Eisbergs. Immer aber ist es der moralisch, erzieherische Zeigefinger, der sich hinter der Maske der Tiere erheben möchte.
Warum sind nun alle diese Details wichtig für die Rezeption Mladins? – Wir kommen gleich dazu. Zuerst wollen wir uns noch vor eines dieser enormen Portraits stellen.
Was empfinden wir? Sind wir aufgewühlt? Sind wir schockiert? Ist es Zufriedenheit? Fühlen wir irgendetwas, das wir aus unserem emotionalen Repertoire zur Rezeption zeitgenössische Kunst herausholen können?
NEIN
Was ist es dann? – Es ist ein sehr persönliches Gefühl. Etwas, dass wir schon lange nicht mehr empfunden haben:
Scham.
Seit unserer Kindheit wissen wir, wie uns Schlauere zu überlisten wissen, dass wir uns hüten sollen vor Menschen mit Kalkül, dass wir achtsam vor Verblendung sein sollen. Wir bilden uns weiter, schulen unseren Geist und lesen über die schrecklichen Greueltaten des 20. Jahrhunderts, wir haben sie vielleicht noch selbst erlebt. All das lernen wir, zum Teil gut verpackt in Tiergestalt, damit der gewünschte Effekt noch größere Wirkung erzielt. Und dann schaffen wir es nicht, uns mit gereiftem Verstand diesen Widrigkeiten anständig entgegenzustellen. Wir lassen uns blenden von Versprechen, fallen herein auf zarte, verführerische Worte und berauschen uns an reißerischen Parolen, die mit erhobener Hand und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht von den Plätzen der Städte geblökt werden. Insgeheim wissen wir das alles. Und deswegen schämen wir uns über uns selbst, weil jedes Kind es eigentlich besser weiß.

Mladin schafft etwas einzigartiges mit seinen political bestiary Portraits. Ohne auf konkrete Politiker zu verweisen – und an dieser Stelle ist die maskuline Form des Nomens entscheidend, denn keines der Tierhäupter sitzt auf einem Frauenkörper – hält er der denkenden Gesellschaft einen Spiegel vors Gesicht. Die Verantwortung, die wir immer wieder gerne abgeben und abschieben schaut da ver-tiermenschlicht auf uns herab. Das haben wir jetzt davon. Auch wenn sie alle gerissen sind, die, die uns das Leben leichter, schöner, reicher und unbeschwerter machen wollen, schuld sind wir selbst. Was wir hier sehen, ist das Produkt unserer Lethargie und unseres Phlegmas. Sie mögen alle schon sein, was sie sind, aber wir geben ihnen das Wort und wir geben ihnen die Macht.
Mladins Nachrichten sind notwendig und er hat sich dafür die beste Zeit und den perfekten Kanal ausgesucht.
Zuletzt wollen wir uns noch der Uniformität der Körperhaltung und der Intensität der Blicke widmen. Bis auf eine einzige Ausnahme verschränken alle dargestellten Tiermenschen ihre Arme. Eine Pose, wie sie in Zentraleuropa sehr häufig auf Wahlkampfplakaten zu sehen ist. Diese Geste soll Entschlossenheit und Kompetenz suggerieren, ist aber spätestens seit den Darstellungen kommunistischer Parteimitglieder zur Hintertür für skeptische Diskurse geworden. Einzig der Esel tanzt mit seiner elangeladenen Postur aus der Reihe. Für uns Europäer ist ein derartiges Bild in der politischen Landschaft eher ungewöhnlich, doch kennen wir es wohl durch die Berichterstattung von US-amerikanischen Wahlkampagnen. Kompetenz und Befähigung sind in Übersee weniger überzeugende Argumente als Esprit, Dynamik und überschwänglicher Enthusiasmus. An dieser Stelle machen wir Halt und spinnen den Gedanken mit dem dummen Esel nicht zu Ende…

Die Blicke der Figuren sind größtenteils direkt in Richtung Betrachtende gerichtet und liegen wieder bis auf eine Ausnahme außerhalb einer animalischen Konformität, die Mimik ist, nennen wir es: „menschlich neutral“. Hierunter lassen wir auch das grimassenhafte Grinsen des Esels – das gehört zu seiner menschlichen Natur – und den in die Ferne schweifenden, tagträumerischen Blick des Fuchses gelten. Nur der Wolf der sich im Schafspelz versteckt, der muss uns auch noch anknurren. Böse. Warum?
Um das zu verstehen, legen wir am besten einen Augenblick lang selbst das Schafkostüm an und begeben uns, mutig wie wir sind, mit dem Wolf auf Augenhöhe. Also, warum? Weil er, der sich unter uns versteckt, der Gleichheit suggeriert, uns den allergrößten Schaden zufügen kann. Im Grunde genommen wissen wir bei den anderen, unserer kognitiven Fähigkeiten sei Dank, eigentlich (!) woran wir sind. Nicht so bei dem, der sich hinter einer Maske versteckt.

Es muss nicht immer ein Wolf im Schafswollpullover stecken. Manchmal ist es auch ein griechischer Held, der sich vor einem menschenfressenden Zyklopen namens Polyphem retten muss. Der Held nennt sich dann Niemand, heißt aber eigentlich Odysseus und bindet sich das Schaf um den Rücken, damit er sich davon stellen kann, während der tobende, geblendete Zyklop den Boden abtastend den Seinen schreit:
»Niemand hat mich geblendet, Niemand hat versucht mich zu ermorden!«
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir, wenn wir es zulassen – und es liegt wirklich an uns – für die Listigen, die Schlauen und die Helden, wie für die Bedrohlichen und Gefährlichen Mittel zum Zweck sind.
Das alles können wir lernen, wenn wir uns schämen.
Schämen wir uns!
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