Die Ästhetik des Augenblicks
Mai 2017
Nichts ist flüchtiger als der Augenblick, nichts weniger begreifbar als der Moment. Fragmentarisch nur und im Rückblick können wir das Wesen der Sekunde erfassen in der Gegenwart passiert. Selbst dann erhaschen wir selten das Wesentliche und unsere Perspektive liegt meist schief. Aurel Vlad friert für uns das Momentum ein und fixiert den Körper in seinem offenbarsten Zustand. Er hält ihn fest, befreit ihn aus der Umklammerung der Zeit und präsentiert uns dann seine schonungslose Bestandsaufnahme. Aus Bruchstücken verschiedener Vergangenheiten schafft Vlad eine ewige Gegenwart, die in ihrer Prävalenz nach vorne zeigt und uns dabei nicht selten unsere größte Unzulänglichkeit entlarvt: unserer Vergänglichkeit, unser Werden und Vergehen, dem wir mit Ohnmacht entgegenschauen müssen, dem wir überlassen sind, ausgeliefert, hilflos. Und gerade in diesem größten aller Unvermögen der Menschheit, entdeckt Vlad Momente außerordentlicher Ästhetik und Gesten vollkommener Schönheit. Der schwächste Augenblick des Lebens wird zum stärksten Augenblick für die Kunst. Die frappierende Klarheit der Figurierung und die unbefleckte Reinheit ihrer Bewegung machen die Skulpturen des Künstlers zu lebendigen Vignetten seelischer Verfasstheit, die den Alltag in seiner äußersten Vollkommenheit aus ihren geöffneten Mündern hauchen. Ihr Blick, dem wir kaum standhalten können, verzeiht uns keine Umschweife ins Banale. Was wir nicht ertragen ist unser Spiegelbild in ihren Augen, denn wir finden darin unsere beste Seite im schlechtesten Licht.

Im Beschauen jedes Details, im mentalen Kartographieren sinnlicher Unebenheiten wird der erstarrte Körper im Raum also zum Gedächtnis für das was jetzt gerade nicht ist. Die Figuren zeigen uns das immer andere, das Bessere für das Schlechteste und das Letzte für das Erste. So sind also letztlich die Skulpturen Aurel Vlads ohne uns als Betrachtende ebenso unvollständig, wie wir ohne sie.

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