Dezember 2019
Der Weihnachtskeks. Ungefähr das Zweitbeste an Weihnachten. Nicht nur Verspeisen macht große Freude, sondern auch die Herstellung beschwört besinnlich-meditative Momente mit vorweihnachtlichem Gefühl. Zu Beginn der Saison fragt man sich noch, warum man das eigentlich nicht täglich macht und lässt den Staubzucker genüsslich über die Vanillekipferl tanzen. So schön ist die Vorweihnachtsstimmung bis zu dem Moment da einem die, für geschätzt jedes Keksrezept so wichtigen, Walnüsse ausgehen… .
In der ersten Dezemberwoche mache ich mich auf, um meinem Walnussvorrat aufzufüllen. Ich habe viel vor. Weil es sich gerade ergibt, will ich das in einer groß-grünen Supermarktfiliale am niederösterreichischen Land tun. Zielsicher steure ich die Backwarenabteilung an, werde aber schon von einer Phalanx Aufsteller für Trockenfrüchte abgefangen: die Walnussschütten sind bis auf zwei Großpackungen geriebener Nüsse leergekauft. Ich bin ganz aufgeregt vor Freude und lasse die zwei letzten Säcke in den Einkaufswagen fallen. Zufällig landen sie dort mit der Hinterseite zuoberst und ich traue meinen Augen nicht. Herkunftsland: Chile. Zornig werfe ich sie zurück ins Regal. Zuerst bin ich wütend auf mich, weil ich nicht gleich überprüft habe, woher die dummen Nüsse, die genausogut im Nachbargarten meiner Eltern wachsen, stammen. Dann bin ich wütend auf das Angebot und die Tatsache, dass alles leergekauft ist. Ich suche im Markt nach einer Alternative, keine Chance – alle Abfüller beziehen ihre Nüsse aus Chile. Ich versuche mich zu beruhigen und will in einem anderen Supermarkt nachsehen. Mein Weg führt mich zu ALLEN Lebensmitteleinzelhändlern des Ortes und ich habe kein Glück, denn ALLE bieten alternativlos Walnüsse aus Chile an und was noch mehr verwundert, ist – ALLE sind leergekauft. Wie kann das sein? Ich sehe nicht ein, warum eine in Zentraleuropa angebotene Nuss aus einem Land stammen soll, das ich selbst noch nicht bereist habe. Und ich beginne nachzudenken.
Früher war sicherlich nicht alles besser und die Generation unserer Großeltern war zu einem Auskommen mit einem rationierten Angebot gezwungen. Das bedeutete Entbehrungen, die wir uns heute inmitten eines überkompensierten Angebots nicht vorstellen können. Die Wahl, die wir uns umgeben von einer absoluten Warenverfügbarkeit selbst anerzogen haben, ist nun mehr bloß eine zwischen Preis und Qualität und oft, so wird uns zur Genüge suggeriert, müssen wir uns nicht einmal mehr dieser stellen. Aber es gibt noch eine dritte Option. Eine Option, die uns wieder zurück ans Steuer unseres eigenen Konsumverhaltens setzt: Nicht zu kaufen. So banal dieser Gedanke ist, so wenig präsent scheint er in den Köpfen meiner Mitmenschen (und der Nusskäufer) vorhanden zu sein. Ich denke hier nicht an einen erhobenen Zeigefinger, der ein Tu-tu-tu gegen die böse Konsumgesellschaft schwingt, die ihre komplette Versorgung auf einige Wenige outgesourced hat; ich denke an ein Bewusstsein. Ich denke an ein aktiviertes Hirn, das versteht was es bedeutet Himbeeren aus Peru zu kaufen, an die Auswirkungen, die das billigere, nicht in Österreich gefertigte Produkt auf den Grund und Boden hat, der unsere Nahrung überhaupt erst hervorbringen soll.
Eine Bekanntschaft, tätig für einen großen österreichischen Lebensmittelproduzenten, erzählt mir, dass ihre im Inland gefertigten Konserven regelmäßig von den Big Five des österreichischen Lebensmittelhandels zu Gunsten der günstigeren, im Ausland abgefüllten aus den Regalen genommen werden. Die Einzelhändler, die mit moralischen Werten und Zukunftsvisionen werben, neue Imagekampagnen im Sinne eines vollwertigeren Lebens starten, stellen eine weit weg vom Verkaufsort gefertigte Ware ins Regal, die eigentlich einen österreichischen Zwilling hat. Warum? – Weil sie ihr vom anderen Ende Europas um ein paar Cent günstiger verkauft wird und das ist kein Einzelfall. Wir sprechen hier nicht von Bananen, die (bislang!) unter unseren klimatischen Bedingungen nicht wachsen, oder Litschi oder jeder anderen exotischen Frucht. Es geht um Produkte, die einen Ursprung in Österreich oder zumindest Europa haben, aber nicht angeboten werden, weil der Konsument am Ende immer zum günstigeren Produkt greift, das nicht aus der Heimat kommt. Und hier ist das Problem. Bevor ein bedachtes „Nein“ zum Kauf überhaupt aufkeimt, sind wir schon den supergünstigsten Angeboten, den Mega-Packs und dem glänzenden, veganen Paillettengarn auf den Leim gegangen. Das ist das eine. Das andere ist eine selbstverständliche Warenverfügbarkeit aller Produkte, die permanent bedient werden muss. Im Falle meiner Walnuss, gab es in Österreich heuer massive Ernteausfälle, als Folge einer Frostperiode, die einen Großteil der Walnussblüten beschädigt hat. Es gibt wohl heuer nur wenige regionale Nüsse und das ist mitunter auch eine Konsequenz des sich verändernden Klimas. Warum sollen wir nicht die Konsequenzen unseres Handelns tragen und die Nuss entbehren müssen?
Man bedenke, der Supermarktriese ist nur so böse, wie es der Konsum gestattet: Das Angebot des Einzelhändlers richtet sich auch immer nach einer Nachfrage, die durch den Einkauf gestellt wird. Aktuell ist das: billig und ständig. Wir vergessen jedoch immer wieder, dass wir mit jeder Kaufentscheidung die Bedingungen akzeptieren, ja oftmals legitimieren unter denen gewisse Produkte hergestellt werden. Genau hier läge aber unsere Lenkmacht, hier können wir den Kurs ändern, indem wir unser Nachfrageverhalten an eine gewisse Wertehaltung anpassen und die Angebotsbedingungen damit steuern.
Uns geht es besser als unseren Großeltern und das ist schön, aber gleichzeitig stehen wir in einer Disbalance mit uns und unserer Umwelt auf eine Art mit der sie nicht konfrontiert waren. Was können wir also von ihnen lernen, um dieses Ungleichgewicht auszutarieren? Wir können ein Auskommen mit den Dingen üben, die hier an Ort und Stelle wachsen und gedeihen und die von der jeweiligen Jahreszeit hervorgebracht werden und wir können lernen zu verzichten. Ganz bewusst auf Lebensmittel zu verzichten, die vom anderen Ende der Welt verschifft oder verfrachtet werden. Wenn die teurere, regionale Alternative nicht leistbar ist, dann liegt im Verzicht vielleicht die Möglichkeit ein ganz anderes, dafür regionales Produkt zu kaufen. Billig um jeden Preis geht immer auf Kosten einer anderen Seite: dem Klima, von Mitmenschen, dem Regenwald, der Tierhaltung, der Produktion, von Arbeitsplätzen, etc. Aber genau hierin ist auch Hoffnung. Hier liegt ein neues Verantwortungsbewusstsein für die Welt, die unsere jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger jeden Freitag zu retten versuchen. Hierin liegt die Hoffnung, dass sich auch ohne die so notwendigen neuen Klimaziele etwas verbessern kann.
Ich glaube nicht, dass es den Menschen egal ist, was mit der Welt passiert, ich glaube nur sie verstehen oft ihre eigene Rolle in diesem Gefüge nicht. Dabei geht es eigentlich immer nur um ein Bewusstsein für die bessere Wahl. Zum Beispiel europäische Mandeln im Weihnachtskeks.